Festschrift - Leporello

1850

Um 1850 - Die Zeit der Gründung


Panorama Welt

In China, Japan und Russland herrschen Kaiser, Tenno und Zar. Die USA steuert wegen der Sklavereifrage auf einen Bürgerkrieg zu. Afrika ist ein Flickenteppich von europäischen Kolonien. Südamerika hat die spanischen Kolonisatoren nach Hause gejagt und sucht chaotisch seinen eigenen Weg. Australien ist Kolonie der britischen Krone.

 

Europa der Monarchien

In Kontinentaleuropa regieren wieder Monarchen. In Frankreich ist Napoleon III. auf dem Weg zur Macht, in Österreich sitzt der Habsburgerkaiser Franz-Josef (Foto) erneut fest im Sattel. 1854 wird er seine Sissi heiraten. Unangefochtene Nummer 1 weltweit ist die Kolonialmacht Grossbritannien.

 

Die Schweiz ist die einzige Demokratie Europas, eine Insel inmitten von Monarchien. Kompliziert ist die Lage an der Südgrenze. Angrenzend an die neuen Kantone Genf und Waadt liegt das Königreich Sardinien-Piemont. Das Tessin und Graubünden grenzen an das habsburgische Lombardo-Venetische Königreich. Da gärt es zwar gewaltig, die Norditaliener wollen die Österreicher loswerden, aber Feldmarschall Radetzky hat die Aufstände niedergeschlagen. Radetzky? Ja, genau, der mit dem Marsch. Johann Strauss Vater hat den Marsch 1848 zu dessen Ehren komponiert.

Im Norden regieren in München die Wittelsbacherkönige, in Stuttgart der König von Württemberg und im Badischen der Grossherzog von Baden.

 

Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft

1850 führt Franz Liszt (Foto) in Weimar Wagners Lohengrin zum ersten Mal auf, in Wien komponiert die Straussdynastie Walzer, Polkas und Quadrillen am Fliessband. In Paris zieht Jacques Offenbach Bürgertum und herrschende Klasse mit seinen Operetten durch den Kakao.

In Bern studiert Albert Anker, der spätere Maler der Schweizer Idylle, noch Theologie. In Berlin entsteht der „Grüne Heinrich“ von Gottfried Keller und Jeremias Gotthelf veröffentlicht „Ueli der Pächter“.

Es ist die Zeit der Industriellen Revolution. In den Städten bildet sich ein Proletariat. Marx-Engels reagieren 1847 mit dem Kommunistischen Manifest. Auf dem Land droht Verelendung wegen Bevölkerungswachstum und Mangel an Arbeit. Der Kanton Schwyz ist ein typischer Auswandererkanton. 1848 wird in Kalifornien bei der Sägerei des Schweizers Johann August Sutter Gold gefunden – Goldrausch.

Im Kanton Zürich hat die Seidenspinnerei Fuss gefasst, mit kleinen Ablegern in

Gersau und Lachen, in der Ostschweiz boomen Baumwollweberei und Stickerei.  Seit 1847 fährt die Eisenbahn Spanische Brötli von Baden nach Zürich. 1849 erscheint neu die „Schwyzer Zeitung“, 1850 prägt die Eidgenossenschaft die ersten Schweizer Franken und beendet damit das heillose Münzenchaos. Bei den Masssystemen ist man noch nicht soweit. 1851 produziert die Glasi in Küssnacht erstmals Glaswaren und seit neuestem fahren Kursschiffe Küssnacht und Immensee an.

 

Die Schweiz zwischen Euphorie und Depression

1847 haben die konservativen Kantone unter Führung von Schwyz und Luzern den Sonderbundskrieg krachend verloren. Zur Bitterkeit über die Niederlage kommen für die Schwyzer erdrückend hohe Strafzahlungen. Dass die Innerschweizer Kantone, die wirtschaftliche Entwicklung verschlafen haben, hilft auch nicht. Die führenden Aristokraten hatten sich jahrzehntelang erfolgreich gegen die Ansiedlung von Industrie und grösseren Gewerbebetrieben gewehrt. Zu lange hatten sie auf ihre Exportschlager gesetzt: Söldner, Käse, Vieh und Pferde. Schwyz ist bankrott, gedemütigt, politisch und moralisch am Boden.

Auf der anderen politischen Seite sind die euphorischen Sieger. Seit Jahrzehnten haben sie auf eine neue zentralistische Eidgenossenschaft hingearbeitet. Seit Jahren sind ihnen die katholisch-konservativen Kräfte ein Hindernis gewesen. Endlich sehen sie den Weg frei für ihre Vision der Schweiz. Schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind im liberalen Teil der Schweiz zahllose patriotische Vereine gegründet worden. Jede Stadt, jedes grössere Dorf will das Dreigestirn der vaterländischen Vereine haben: Schützen-, Turnverein und Männerchor. Im konservativen Teil der Schweiz beäugt man diese misstrauisch. Man sieht in ihnen liberale Propagandamaschinen mit dem Geruch des Freigeistigen, ja Radikalen. Deshalb bricht das Vereinsfieber in der Innerschweiz erst in den 50-er Jahren aus, mit Küssnacht an vorderster Front.

 

Küssnacht zwischen Stuhl und Bank

Küssnacht spielt im Alten Land Schwyz schon länger die Rolle des Spielverderbers. Die Küssnachter haben die Nase voll von den Schwyzer Aristokraten. Denn kaum ist der napoleonische Spuk vorbei, wollen letztere zurück zu den alten Zuständen. Der Bezirk Küssnacht will weg von Schwyz und tut sich mit der March und Einsiedeln in den 1830-er Jahren zum Kanton Ausserschwyz zusammen. Die Tagsatzung akzeptiert den neuen Kanton. Das gerät den Schwyzern in den falschen Hals. Sie besetzen kurzerhand Küssnacht. Die Tagsatzung reagiert, schickt eidgenössische Truppen nach Küssnacht. Schwyz muss nachgeben und die Kosten der Tagsatzungstruppen übernehmen. Es kommt später zu einem Kompromiss, der Kanton Ausserschwyz ist jetzt zwar Geschichte, das gegenseitige Misstrauen aber bleibt bestehen.  

So ist Küssnacht später auch skeptisch gegenüber dem Sonderbund und begrüsst die einmarschierenden Besatzungstruppen der Siegerkantone jubelnd. Als es dann 1848 zur Abstimmung über die neue Schweizer Verfassung kommt, ist Küssnacht die einzige Schwyzer Gemeinde, die sie annimmt.

 

Die Gründung des Männerchors

Es ist wohl kein Zufall, dass 1850 Lachen und Einsiedeln, die ehemals Abtrünnigen, die führenden Männerchöre des Kantons sind. In Schwyz ist ebenfalls ein Männerchor entstanden. Man will miteinander ins Gespräch kommen, muss an eine gemeinsame Zukunft glauben. Ein „Schwyzerischer Kantonalsängerverein“ konstituiert sich mit dem Hauptzweck: „Gründung und Erhaltung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Bürgern der verschiedenen Landesteile“. Es geht nicht in erster Linie um Geselligkeit und Singen, sondern ums Zusammenfinden von sich fremd gewordenen Bundesgenossen. Man will ein Gefühl von nationaler Einheit wecken. Deshalb werden sofort die ersten regionalen und überregionalen Sängerfeste geplant und durchgeführt. Gemeinsam singend will man die Gegensätze überbrücken

 


Hier geht es zum Interview mit unserem Gründerpräsidenten Dr. Josef Anton Sidler